Silverrudder 2023 - Challenge of the Sea - Ein Erfahrungsbericht

 

21.09.2023

Die grösste Einhandregatta der Welt Rund Fünen

2017 reiste ich das erste Mal nach Svendborg auf der Insel Fünen, um am grössten Einhandrennen der Welt teilzunehmen. Die 450 Startplätze werden innert Stunde verkauft - derart gross ist das Interesse.

Damals segelte ich ein hervorragendes Rennen bis ich nach über 33 Stunden kurz vor dem Ziel nicht gegen die starke Strömung ankam und eine Panikattacke erlebte. Damit war die Regatta dann auch gelaufen.

Immerhin dauerte es sechs Jahre, bis ich erneut einen Anlauf nahm, diesmal aber mit einer guten Vorbereitung und viel Unterstützung! Anders ist es als Binnensegler kaum möglich, den Herausforderungen gewachsen zu sein - und es sollte sich lohnen!

Start der Klasse Keelboat Small mit über 80 Booten am 15.09.2023 um 10.30h

Perfekte Organisation und wertvolle Erfahrungen

Das Silverrudder wurde seit 2017 enorm professionalisiert. Die Organisation um Philipp Cossen könnte besser kaum sein. Rund 100 Helfer sind Tag- und Nacht im Einsatz und für die Segler da. Man wird sehr freundlich empfangen und begleitet, es fehlt an nichts – im Gegensatz zum Vegivisr Race, an welchem ich mit Danny Gut zur Vorbereitung teilgenommen hatte. In Klammern: Es gibt drei Kurse am Vegvisir, die jedes Jahr ändern: 89NM - 167NM und 225NM. Wir bestritten den mittleren Kurs und benötigten rund 30 Std. für die 185 gesegelten Meilen. Die Nacht zeigte sich mit Vollmond von seiner ruppigen Seite mit >20Kn Wind und über 2m Welle im Fehmarn-Belt - eine Herausforderung für Binnensegler!

Die Learning aus dieser Regatta: nicht taktisch sondern strategisch segeln, Energie sparen, wenig Manöver und die grossen Strömungen optimal nutzen. Diese Erkenntnis war extrem wertvoll für das Silverrudder!

Die Vorbereitungen starten jedoch nicht erst mit dem Vegvisir. Vorher gilt es das Boot, die Elektronik und v.a. die Navigationshilfen bereitzustellen und zu testen und sich ein Shoreteam zusammenzustellen, das einen unterstützen kann.

Fehmarn-Belt mit Danny Gut während rund 5 Std. bei Vollmond und herausfordernden Bedingungen

Die Sieger sind nicht die wahren Helden!

The «Ironman of the Sea» hat seinen Übernamen verdient. Die wahren Helden sind nicht die Sieger, die in weniger als 20 Std. die Ziellinie kreuzen, sondern die vielen Segler*Innen, die 50 Stunden durchhalten und auch nach der zweiten Nacht noch bei fast Flaute stundenlang gegen die Strömung im Svendborg Sund ankämpfen, um die Ziellinie zu kreuzen. So z.B. die 25jährige Kajsa Wikmann aus Schweden, die sich für EUR 7000 einen Spaekhugger (Killerwahl) gekauft und für das Silverrudder traininert hat. Nach 48 Std. kreuzte sie die Ziellinie mit Tränen in den Augen. Und so gibt es viele, die mit langsamen Booten, wie z.B. die Folkeboote ohne Spinnaker bis zu 11 Std. in Middelfart ausharren, bis sie mit der Strömung und etwas Wind durch den Kanal kommen. Ich habe grössten Respekt von diesen Teilnehmer*Innen – und Frauen sind auch dabei!

Der Groove ist unbeschreiblich. Es geht nicht ums Gewinnen sondern ums Durchkommen. Offenbar suchen die Menschen die letzte Herausforderung auf dem Wasser.

Schlüsselstelle - Lillebelt bei Middlefart

Die Schwierigkeiten liegen im Lillebelt bei Middlefart und im Svendborg Sund. In NO ist es v.a. die Strömung und der flaue Wind im Talkessel unter den hohen Brücken. Selbst wenn draussen 15kn Wind wehen, ist in Middlefart oft Flaute und bis zu 3kn (Gegen)Strömung. Das ist nicht einfach! Es kann dann schon sein, dass Boote bis zu 10 Stunden ankern, um den richtigen Moment zur Durchfahrt zu finden.

Dieses Jahr gabe es Gruppen von 30 - 40 Booten, die alle zusammen vor Anker lagen und lauerten, bis der Wind oder die Strömung kippten. Da wird kaum gesprochen, jeder will weg - Ambiance wie in einer Geisterstadt - an Schlaf ist kaum zu denken.

Schlüsselstelle - Svenbdborg Sund

Im Svendborg Sund sind es die teilweise sehr engen Passagen, überall Untiefen und oben drauf noch die Strömung. 2017 löste die Strömung bei Nacht bei mir eine Panikattake aus, weil ich das nicht kannte und so wich ich auf den Motor aus um mich zu retten, anstatt zu ankern und abzuwarten. Dieses Mal sah es etwas anders aus… deshalb auch die umfangreichen Vobereitungen. Man kann nicht einfach nur mal dahinfahren und hoffen, dass alles gut kommt. Das war die lange Reise nicht wert! Jeder (Binnen)Segler muss unbedingt die kritischen Kanäle mehrmals bei wechselnder Strömung abfahren, um sich damit sowie den Untiefen vertraut zu machen und auch nachts die Umgebung zu erkennen. Hinzu kommen Veränderungen des Wasserstands bei Ebbe und Flut.

2.2kn Strömung bei 3.6kn Fahrt

Mein persönliches Rennen - Vorbereitungen und der schwierige Weg aus dem Svendborg Sund nach Norden

Ich hatte mich drei Wochen lang vorbereitet und im Norden Jens Quorning der DragonFly-Werft getroffen, der mir die Strömungsverhältnisse bei Middelfart erklärt hatte. Danach passiete ich mehrere Male gegen die Strömung bei Leichtwind, bis ich wusste wie!

Im Svenborg Sund bin ich alle Passagen mit hochgezogenem Kiel abgefahren und habe Einheimische gefragt, wo die Schleichwege sind – und die gibt es tatsächlich – sie sind nicht auf der Karte eingezeichnet, aber werden von den Anwohnern genutzt. So sagte mir ein alter Seebär auf der Mole: “Fahre von diesem Punkt auf der Mole 0.5 NM genau Richtung Kirche und dann hast du 1.80m Tiefgang bei Niedrigstand!” Der Vorteil liegt darin, dass die seichten Gewässer wenig oder keine Strömung haben im Gegensatz zu den Hauptkanälen. Die Ebbe/Flut macht rund 20-30cm zzg. die Veränderungen durch den Wind im Kattegat, wenn die Wassermassen durch den Kanal gedrückt oder gesogen werden.

Der Start mit 80 Booten in der Klasse Keelboat Small ist eine riesige Herausforderung. Gegen den Wind aufkreuzen, in einem schmalen Kanal mit Untiefen. Leider passierte mir ein Anfängerfehler und die Fockschot war nicht richtig eingefädelt, sodass ich mich nach einem Superstart sofort wieder befreien musste, um das Problem zu lösen. Nach dem zweiten Versuch lag ich im Mittelfeld, wurde dann aber von einer X-79 am Wenden gehindert und bin aufgelaufen… Da war einfach zu wenig Platz und im hinteren Feld sind die Segler z.T. etwas unkontrolliert unterwegs… So kam ich erst als 44 Boot bei Thuro Rev an den Wendepunkt. Ich zog den Reacher und wechselte später auf den grossen Gennaker und oben bei Baesbanke war ich bereits das 19 Boot in der Klasse Keelboat Small. Ein toller Ritt mit 10-12kn Wind aus SO und 1.5kn Strömung von hinten. So schaffte ich die Distanz in Rekordzeit.

Baesbanke nach Aeblo

Auf dem Reachingkurs hatte ich dann mit dem zu grossen Genni ein paar Std. bis nach Aeblo zu kämpfen. Ich hätte vorher wechseln sollen da ein Wechsel auf dem Reachingkurs zu viel Zeit kostet. Da meine Windfahne ausgestiegen war, konnte ich den Autopiloten nicht nutzen und ich fuhr das ganze Rennen an der Pinne und die Gennakerschot aus der Hand. Muskelkrämpfe machten sich bemerkbar, aber dafür konnte ich die Welle gut aussegeln und schliesslich musste ich aufholen!

Baesbanke nach Aeblo auf einem engen Reachingkurs

Durch den Kanal in Middlefart gegen Mitternacht

Eingangs Fredericia entschied ich mich für die Fünenseite und kam dann mit meinem Code 0 perfekt bis zur grossen Brücke, anfangs mit Wind von hinten, dann von vorne. Ich entschied strategisch und nicht taktisch zu segeln und keine Segelwechsel zu machen, sondern mich total auf die Flexibilität und den Kurs zu konzentrieren. Ich schlich dann am Landufer rechts ganz nah entlang, um möglichst wenig Strömung zu begegnen. Diese lag bei rund 1.5kn aber bei fast null Wind nach der grossen Brücke bis nach Faeno ist es nicht leicht, durchzukommen. Die zweite, alte Brücke passierte ich ebenfalls ganz rechts, wobei zu meinem Erstaunen alle anderen Boote nach links fuhren und so bei SO-Wind in die Abdeckung durch die Insel Fünen gelangten. Darüber hinaus bahnte sich noch ein grosser Frachter den Weg durch die stehenden Yachten... Ich blieb bis zum Ausgang des Kanals auf der rechten Seite und kreuzte dann mit dem Code 0 Richtung Faeno wo ich jetzt auf Platz Nr. 8 in der Kategorie Keelboat Small lag. Das Training und die Gespräche mit Jens hatten sich gelohnt und machten sich nun auch bezahlt!!!! Dank meiner Entscheidung, den Code 0 zu nutzen und keine Segelwechsel zu machen, konnte ich alle Kurse inkl. Schmetterling und Kreuzkurs mit dem gleichen Segel abdecken und immer die Mindestgeschwindigkeit gegen die Strömung halten. Und so war ich eines der letzten Boote, die einen Windhauch mitnehmen konnten und an Faeno vorbeisegelten, bevor die Flaute alle Boote im Kanal für mehrere Stunden gefangen hielt und diese von der Strömung – falls nicht geankert – immer wieder zurückgetrieben wurden.

 

Beispiel der Strömung im Lillebelt Kanal bei Middlefart um 15.00h auf der FCOO-App

 

Schlussspurt mit einer unendlich langen Kreuz und Gegenströmung

Letztendlich erreichte ich den 7. Schlussrang in der Kategorie Keelboat Small und war überglücklich über den Verlauf bei all dem Missgeschick am Start. Die lange Kreuz gegen den Strom (rund 12 Std.) von Faeno bis zum Svendborg Sund in der Nacht ist aber schon sehr anstrengend! Durch die Müdigkeit, Leermond, klarer Sternenhimmel mit gefühlt 1 Mio. Sternen, 10-13Kn Wind, Welle und fluoreszierendem Wasser hinter dem Boot lassen einen in eine Trance fallen, die schöner nicht sein könnte. Man wird eins mit Welle, Wind, Wasser, Sternen und dem Boot. Was für ein Erlebnis – und das über Stunden! Man kann die Landmassen bei der Dunkelheit nicht erkennen, sondern nur die Lichter. Jedoch ist es kaum möglich, Distanzen abzuschätzen und man verlässt sich total auf die Navigationsapp und sein eigenes Gefühl – ausgeliefert auf dem Meer – keine Ahnung, ob irgendwo ein Gegenstand oder ein Stück Holz im Wasser treibt, kreuzt man bei Gischt und mit Flug-und Spritzwasser über dem Bug und die Fock durch die Nacht den kleinen Belt hinunter.

Es ist nicht möglich, bei Leermond die flachen Landmassen zu erkennen. Das Wasser wird zu einem bewegenden Teppich und verschmiltzt mit dem Horizont

Die Kräfte schwinden

Gegen morgen verlassen einen dann die Kräfte. Die Wenden werden schwierig. Man stolpert über die eigene Pinne oder Füsse und fällt auch einfach mal hin. Alles geht nur noch langsam und anstrengend, aber das Ziel liegt vor Augen! Der Sonnenaufgang bringt dann etwas Wärme und Lebenskraft zurück, aber der Körper ist müde und schmerzt an vielen Stellen, Muskeln und Gelenke tun weh. Nur nicht aufgeben, sondern durchziehen bis zum Ende! Ich konnte dann mit Rückenströmung in Svendborg nach fast 26 Std. einlaufen und war so etwas von glücklich es geschafft zu haben, dass ich alles vergass, was mich vorher noch belastete und auch die Klassierung kaum mehr Bedeutung zu haben schien. Zum Glück ist die Strömung rechtzeitig gekippt und hat die letzte Herausforderung zum sanften Zeileinlauf werden lassen.

Fazit

Mach es - aber bereite dich gut vor! Gib dein bestes, aber setze kein zu hohes Ziel. Die Bedingugen sind komplett anders als auf Binnenseen und die Boote z.T. speziell für diese Regatta und die Kurse gebaut (Dehler 30OD, Aelos P30, SunFast 30OD oder unvergleichbar schnell wie die Corsa 915 Carbon Edition).

Es sind mindestens zwei bis drei Wochen vor Ort mit genügend Ruhezeit notwendig. Die Vorbereitungen fangen zuhause an und die Nachbearbeitung hört dort auch wieder auf. Dabei geht es um das Setup vom Boot, Segel, Navigation, richtiger Autopilot!!, Informationsquellen für Wetter, Strömung, Wind und schwierige Passagen bis hin zur korrekten Ernährung, Mentailtraining, Energiemanagement und Rehabilitation. Das dauert sehr viel länger, als man das erwarten würde… Gerne stehe ich für einen Beratungstermin zur Verfügung.

Spannendes Interview mit dem Profisegler Phil Sharp anlässlich des Silverrudders 2022, welches die Anforderungen an die Segler gut wiedergibt.

 
 
Michael Tobler