Kopfsache: Squaretop vs. Pinhead-Grosssegel

27.05.2021 20:00h

YACHT.DE

Nachdem die YACHT in der Nr. 21/2016 den Bericht publiziert hat, möchte ich in meinem Blog auf die Praxiserfahrungen im Rahmen der Tests eingehen. Ich empfehle aber in jedem Fall, die YACHT zu lesen, da dort detailliert auf die Hintergründe und Zusammenhänge eingegangen wird. Darüber hinaus wurde im Jahr 2020 ein Beitrag mit den zwei Saphire Booten verfilmt:

https://youtu.be/VBThOyqOpT8

Zu den Fakten:

Squaretop Grosssegel: 29m2 auf Carbonmasten, Pinhead Grosssegel 22m2 auf Aluminiummasten, gleiche Masthöhe. Gewicht SPORT Version 1341kg mit Elektromotor, Gewicht CRUISE Version 1540kg mit Aussenborder, beide Boote mit Performance-Kiel ausgestattet.

 
 

Vorab etwas Theorie

Aerodynamische Vortriebskraft

Entsteht aufgrund unterschiedlicher statischer Drücke infolge unterschiedlicher Strömungsgeschwindigkeiten (Flügelprofil)

Parasitäre Widerstände

Form- und Reibungswiderstand sind durch die Begebenheiten in unserem Lebensraum gegeben (Masten, Segel)

Induzierte Widerstände

Abzug an kinetischer Energie infolge des Aufrollens eines Randwirbels an der Abrisskante. Wird durch den Druckausgleich in Lee und Luv hervorgerufen (Querkräfte)

Die kinetische Energie – auch Bewegungsenergie oder Geschwindigkeitsenergie genannt, ist die Energie, die ein Objekt aufgrund seiner Geschwindigkeit erhält

Der induzierte Widerstand ist in seinem Ausmass reduzierbar und kann theoretisch gegen Null gebracht werden

Die einfachste Form, den induzierten Widerstand zu verringern ist eine Verlängerung der Spannweite

Laminare Strömung

Anliegen der Strömung, d.h. wenn die einzelnen Fluidteilchen sich geordnet auf parallelen Bahnen bewegen, erkennt man an den Windfäden im Vorsegel und am Achterliek

Turbulente Strömung

Die Fluidteilchen schwirren ohne Ordnung und Zusammenhalt umher

Schnell segeln heisst:

Möglichst viel Auftrieb (Fläche), möglichst wenig Widerstand (parasitär und induziert) und möglichst laminare Strömung

Beispiel A-Catamaran - eine freie Entwicklungsklasse seit 1956

Der A-Catamaran ist eine freie Konstruktionsklasse, 1956 von der damaligen YRU gegründet und hat sich immer weiter entwickelt. So segeln z.B. Dean Barker, Glen Ashby und viele andere AC-Segler seit Jahren auf dem A-Catamaran als Trainingsboot.

 
 

Vor dem Jahr 2000 wurden gar keine ausgestellten Segel genutzt sondern die Masten immer höher gebaut. Damals über 10.5m mit Pin-Head während die hier gezeigten Segel alle Masten um die 9.0m nutzen. Jedoch hat sich die Form von einem leicht ausgestellten hin zu einem stark ausgestellten (>50% vom Unterliek) und wieder zurück entwickelt. Der Grund liegt in der höheren Geschwindigkeit des foilenden Bootes, weshalb die Segel bis hinunter aufs Trampolin geschnitten und ein Surfbaum verwendet werden.

Praxis - was passiert beim Square Top?

Trimm beim A-Cat

Sehr viel Cunningham, Baum in der Mitte, Schotzug genau so stark, dass der gewünschte Effekt im oberen Teil des Segels, z.B. invertieren oder ausleeren, entsteht.

Effekt

Bei Starkwind invertiert der obere Teil des Segels und erzeugt einen Auftrieb!

Der A-Cat segelt 12.5 – 13kn hoch am Wind, sobald das Segel invertiert, entsteht ein enormer Beschleunigungseffekt und das Boot segelt mit 13.5 bis 14kn hoch am Wind (ohne Foils).

Der parasitäre Widerstand bleibt gleich, der induzierte Widerstand sinkt, weil die Strömung anliegt, d.h. laminar wird und von Lee her Auftrieb erzeugt wird. Die gesamte Fläche wird genutzt und die Wirbelschleusen entstehen nur oben entlang der horizontalen Kante des Segels. Wird der obere Teil des Segels nur «entleert» entsteht mehr induzierter Widerstand, d.h. der Randwirbel rollt sich auf und zieht am Achterliek hinunter (Wirbelschleppen), die Strömung ist turbulent. Auf dem nachfolgenden Bild sieht man deutlich, dass der gesamte obere Teil des Segels invertiert und die Windfäden perfekt anliegen (laminare Strömung).

Bei richtigem Trimm kann auf ein Reff verzichtet werden. Beim A-Cat gibt es keine Reffmöglichkeit. So steht der Steuermann bereits bei 1.5Bf im Trapez und kann das Boot mit dem gleichen aufrichtenden Moment auch noch bei 6Bf. und viel höherer Geschwindigkeit halten, obwohl er mit gleichem Körpergewicht segelt. Das kann nur durch den Trimm und exaktes Steuern erreicht werden. Hätte das Segel vollen Druck, würde der A-Cat sofort kentern.

 
 

Am Wind Trimmmöglichkeiten des Squartops auf einer Yacht

Auf dem nachfolgenden Bild rechts ist mehr Wind, der Baum ist leicht überzogen, der Niederholer relative lose und das Segel twistet enorm, d.h. es macht oben vollständig auf. Noch ist zu wenig Wind, um es zu invertieren. Jedoch kann mit kleiner Crew trotzdem maximale Höhe gelaufen werden, weil die Höhe durch den dichten Baum produziert wird, während der mittlere Teil des Segels den Vortrieb erzeugt. Alle Trimmfäden entlang des Achterlieks zeigen nach hinten.

Auf dem linken Bild hat es weniger Wind, der Baum wird straffer und mittschiffs gefahren, während der Druckpunkt des Segels nach oben verlagert wird. Dadurch kann man bei weniger Wind genau so viel Druck fahren wie im Bild rechts. Das Boot läuft in diesem Fall nicht nur schnell, sondern auch sehr hoch.

 
 

Invertiertes Grosssegel

Hier gleich nach der Wende wird das Profil von unten nach oben verlagert, je nachdem wie dicht man holt.

Vorteil: das Segel flattert nie, steht immer ruhig, kein Schlagen an der Kreuz, keine Vibrationen, Aufrichtemoment im Top

Bei Starkwind kann das Segel so gefahren werden, anstatt ein Reff einzubinden

Der induzierte Widerstand verringert sich bei gleichzeitigem Vortrieb

Nachteil: weniger Grossschotzug und somit weniger Spannung auf dem Vorstag – ein Drag kann entstehnen, weil das Vorstag bei Starkwind zu wenig Spannung hat. Dem könnte abgeholfen werden durch Backstage, aber das macht das Boot zu kompliziert und der Verlust liegt im untersten Prozentbereich.

 
 

Am Wind Trimmunterschiede verschiedener Grosssegel

Deutliche Trimmunterschiede sind auf dem nachfolgenden Bild zu erkennen:

Squartop

Das Squaretop hat ein sog. gerades offfenes Achterliek und kann nie überzogen werden.

Trimm: Baum in der Mitte, Niederholer offen, Cunningham straff, Grosssegel oben offen

Pinhead

Das Pinhead Gross hat ein sog. rundes, geschlossenes Achterliek und die grösste Gefahr ist, es zu überziehen. In diesem Fall bremst der obere Teil des Segels und erzeugt signifikante Wirbelschleppen.

Trimm: Baum mehr im Lee, Niederholer gezogen, mehr Schotzug, Achterliek geschlossen

Vergleich

Das Squaretop erlaubt bei diesen Bedingungen, mehr Höhe zu segeln, während ab ca. 12 – 13kn Wind die Boote gleich hoch und schnell segeln. Ab ca. 16-18kn Wind segelt das PinHead höher und das Squartop etwas schneller. Grund: SQTOP erzeugt weniger Zug auf dem Vorstag.

Beide Segel könne sowohl auf dem Carbon wie auf dem Aluminium Rigg gefahren werden. Der Gewichtsunterschied der Masten liegt bei 12kg, die Steiffigkeit ist ähnlich. Natürlich kann man den Carbonmasten etwas besser auf die Eigenschaften des Square-Top Segels abstimmen, aber die Unterschiede sind nicht signifikant und werden nur im harten Regattaeinsatz wahrgenommen.

 
 

Wirbelschleppen

(Grafik zur Verfügung gestellt von der YACHT Ausgabe Nr. 21, 2016)

 
 

Vor Wind Vergleich

Das SQ-Top ist immer schneller – bei jedem Wind – ausser auf ganz spitzen Raumwindkursen bei starkem Wind

Der Niederholer bleibt relativ lose, das Segel muss twisten.

Der Baum wird immer relativ weit dicht gefahren. Das Segel dreht sich nach oben aus. Die Beschleunigung kommt vom mittleren Drittel, oben wird der Vortrieb bzw. die Wirbelschleusen über die Trimmfäden kontrolliert, was man auf dem Bild gut erkennt.

Ganz wichtig: wer beim Halsen vergisst den Niederholer zu lösen, riskiert einen Sonnenschuss…

 
 

Steuerverhalten

Falsch ist die generelle Aussage, dass ein Squaretop Segel mehr Ruderdruck erzeugt: Durch den geraden, offenen Schnitt und das ingesamt viel flachere Profil erzeugt das Squaretop nicht mehr Ruderdruck als das klassiche Grosssegel - eine Ausnahme gibt es dennoch: Bei z.B. 2Bf. kann die Schot dermassen dicht gefahren und der Druckpunkt des Segels so weit nach oben verlagert werden, dass in der Tat Druck auf die Pinne entsteht - gewollt! Denn bei diesen Bedinungen kann man dann fünf Personen auf die Kante setzen und durch den Luvdruck fährt das Boot eine maximale Höhe - viel höher als mit jedem klassichen Grosssegel. Sobald der Wind steigt, löst man die Grossschot Zentimeter um Zentimer und gleichzeitig reduziert sich der Ruderdruck und steigt der Vortrieb - genau das mögen diese Segel am liebsten!

Square Top Segel verlangen mehr vom Steuermann ab. Es hat sich gezeigt, dass die maximale Grösse vom Top kleiner als 50% vom Unterliek sein soll, damit es a) gut geschnitten werden kann und b) gut steht. Zudem ist die Verwendung moderner Laminate oder Mebran Segel ein deutlicher Vorteil, insbesondere bei grösseren Flächen.

Der Steuermann muss immer genau an der Windkante fahren, jede Bö ausnutzen und mit der Grossschot und dem Traveller arbeiten. Dafür bietet es eine Vielzahl von Optionen in allen Windbedingungen, während das klassische Grosssegel leichter in der Handhabung ist und auch ohne Traveller gefahren werden kann.

Natürlich bringt ein Square Top Segel mehr Spass, aber es richtet sich an einen ambitionierten Segler, der immer das Maximum in allen Windbedingungen herausholen möchte, während das klassische Grosssegel viel verzeiht - auch Steuerfehler - und somit ganz klar zum Cruisen die geeigente Wahl ist.

 
614A0038.JPG
 
 
 
 
Michael Tobler